Donnerstag, 12. Februar 2015
1 x Selbst: Verwandtschaftserklärung an FM4
.tarion.,
12:38
Eine Liebeserklärung, auch wenn sie eher eine Verwandtschaftserklärung ist, in dem Medium zu veröffentlichen, das man in hoher Minne besingt, geht natürlich nicht. Aber weil es mir am Herzen und in den Genen liegt: FM4, willst Du mit mir verwandt sein? Und dann kam FM4. Zunächst in Form einer Erzählung: Martin, Fan von Blue Danube Radio (BDR), erzählte eines Schulvormittags von einem neuen Moderator, der sich in einer Livesendung die Nase hochgezogen hatte. Dass es sich dabei um mehr als einen neuen Moderator, nämlich um einen neuen Radiosender (wenn man das so sagen konnte), handelte, fand ich dann selbst heraus, abends immer ab 19 Uhr bis Sendeschluss. Ich nahm sofort den Sumpf und die Graue Lagune auf Kassette auf, schnitt Salon Helga und Radio Blume mit, falls ich sie verpasste und hatte so auch zu BDR-Zeiten ständig FM4 im Ohr. Denn nebst meinem Fahrrad war mein Walkman mein treuster Begleiter in diesen verschwommenen Jugendtagen. Und so füllte FM4 mein Leben und alle kulturellen Schlaglöcher und Leerstellen, die mir im Rahmen meines Provinzlebens nie auffielen aber trotzdem gefüllt werden mussten. Ich hatte von Geburt an ein FM4-förmiges Loch in meinem Herzen. Soweit so gut. Solche Lebensläufe gibt es zuhauf. Aber irgendwie hat dieses Verschmelzen nie aufgehört und heute kann ich sagen, und zwar wirklich mit einer Sicherheit und nicht nur als Versuch einer verzweifelten Tiefgründigkeit: Ohne FM4 wäre ich nicht der, der ich bin. Ich & FM4: Etwas systematischer Nun ist schlecht von Unausweichbarkeiten zu reden: Es hätte natürlich alles anders kommen können! Und über eine Beziehungen zu reden, setzt voraus, dass man es mit einer Identität zu tun hat oder zumindest einen identifikationsfähigen Kern in dem anderen ausmacht; Projektion funktioniert, man liebt ja immer das Bild, das man sich von einem anderen macht. Aber diese beiden Identitäten müssten sich dann auch noch gemeinsam entwickeln können um füreinander identifizierbar zu bleiben. Bei einer Institution aus vielen Menschen und Systemen und wechselnden Merkmalen bedeutet das aber eine sehr einseitige Beziehung. Eine Fan-Beziehung, vielleicht. Aber FM4 wirkte ja in den letzten Jahren auch zurück auf mich ein, und zwar durchaus gezielt. Immerhin arbeite ich ja für den Laden und habe ein paar tolle Freunde gemacht. Aber noch mehr: Viele Kernmerkmale meines heutigen Lebens lassen sich direkt auf FM4 zurückführen. Es gibt öfters als nicht einen Faden der bei FM4 beginnt und bei meine Freunden, Bands, meiner Arbeit, meinem Wohnort (und der Wohnort davor, aber Halle/Saale ausgeschlossen), meinen Interessen und angeblichen Eigenheiten endet. Das ist teilweise ganz beängstigend: Ich kann einen beliebigen wichtigen Punkt in meinem aktuellen Leben wählen und die Ereigniskette, die zu ihm führte, zurückverfolgen und lande oft genug bei FM4. Zweifellos gibt es also eine reziproke Verbindung zwischen mir und FM4. Es ist aber nicht Liebe - weil es das nicht sein kann (wir erschaffen ja keine neue Identität: Felix/FM4). Und es ist nicht Freundschaft - weil das nicht geht. Es wird also schnell schwierig, von einer Beziehung zwischen FM4 und mir zu sprechen, von einer Liebe - und damit unmöglich, einen längst überfälligen Liebesbrief an FM4 zu schreiben. Es muss also, um zum Punkt zu kommen, eine Art Verwandtschaft sein. Aber wie schreibt man einen Verwandtschaftsbrief? Man schreibt ihn an seine Adoptiveltern beziehungsweise Halbgeschwister. Identitäre Kraft, so schlimm das ist Was für eine Verwandtschaftsbeziehung ist das also zwischen mir und FM4? Ich versuche es phänomenologisch: Das gemeinsame Erbgut ist ein kultureller Gehalt, der über das hinausreicht, was FM4 und ich sind. FM4 selbst ist ja ein Produkt einer gemeinschaftlich hergestellten Wirklichkeit, also eines vor FM4 existierenden Sachverhalts. FM4 als dieses Produkt ist wiederum ein Kristallisationspunkt, das gemeinsame Merkmal (das unterscheidet mich und meine FM4-Halbgeschwister von allen anderen, die theoretisch auch mit FM4 verwandt sein könnten). Das schöne an der Beziehung ist, dass sie recht offen ist: Jeder gehört zu dieser Familie, der sich dazu zählt. Und als ob es in den Gründungstagen von FM4 auch so ein Geschwurbel gegeben hätte, heißt es ja auch von Anfang an: You're at home, Baby. Hier ist eine Familie. Als ich so 1995 anfing, FM4 zu hören und also dazu zu gehören, hatte dieser Radiosender aus dem mir fremden Wien eine Leuchtturmfunktion. Ich fühlte mich nicht länger mit großen Teilen meiner Identität allein am tristen Bodensee, sondern wusste, dass dort draußen jemand auf mich wartet. Ich hatte eine zweite Heimat, von der ich nichts wusste, die ich aber, als ich ihr zum ersten Mal gewahr wurde, sofort erkannte. So wurde FM4 also meine Familie. You're at home, Baby. Und ich bin es auch.
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Last modified: 25.02.20, 06:17 Status
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